Vier-Punkte-Plan zur Sicherstellung des Betreuungsbetriebs

Der Fachkräftemangel im Kita-Bereich ist kein ganz neues Phänomen – seine Auswirkungen spüren die Mitarbeitenden in unseren Einrichtungen aktuell aber in einer nie gekannten Form. Wir müssen vermeiden, dass die Anzahl der angebotenen Plätze in der Stadt wegen Personalmangels zurückgeht und Erkältungswellen von nun an regelmäßig zu improvisierten oder eingeschränkten Betreuungslösungen führen. Deshalb brauchen wir einen Aktionsplan, der die Kita-Teams in der Stadt kurzfristig entlastet und gleichzeitig auf die Ausbildung zusätzlicher Mitarbeitenden abzielt. Folgende vier Maßnahmen schlagen wir im Kontext der aktuellen Koalitionsverhandlungen vor:

1. Auszubildende nicht vollständig auf den Fachkraft-Kind-Schlüssel anrechnen

In Zeiten des allgegenwärtigen Fachkräftemangels müssen wir alle mit offenen Armen willkommen heißen, die sich für eine berufliche Zukunft in der Kindertagesbetreuung entscheiden. Einige Berliner Fachschulen melden aktuell jedoch rückläufige Schülerzahlen – und verweisen darauf, dass eine mehrjährige unbezahlte Ausbildung wenig attraktiv ist. Bei der gut nachgefragten und bezahlten berufsbegleitenden Ausbildung sind hingegen die Praxisplätze in den Einrichtungen das Nadelöhr: Nicht jeder, der eine bezahlte praxisintegrierte Ausbildung machen möchte, findet auch eine entsprechende Anstellung in einer Kita.

Denn für die personell ausgedünnte Teams sind Auszubildende aktuell leider auch eine Belastung – zumindest dann, wenn sie noch am Beginn ihrer Laufbahn stehen und trotzdem als vollwertige Fachkraft auf den Personalschlüssel angerechnet werden. Auch wenn diese Regelung die Trägerlandschaft mit Blick auf die Personalsuche erst einmal formal entlastet, führt sie zu einer Verstetigung oder Verschärfung des Problems in der Zukunft: Denn es ist für Kitas aktuell wenig attraktiv Auszubildende aufzunehmen, wenn sie stattdessen auch eine vollausgebildete Fachkraft einstellen könnten.

Hilfreich wäre es, wenn man angehende Fachkräfte nicht schon zu Beginn ihrer Ausbildungszeit vollständig auf den Personalschlüssel anrechnen würde – damit Kitas, die sich für mehr Nachwuchsfachkräfte engagieren, diese dann zusätzlich und nicht statt einer vollausgebildeten Kraft im Team haben. Das würde das Angebot der stark nachgefragten Plätze in der praxisintegrierten und vergüteten Ausbildung merklich erhöhen, die betreffenden Teams etwas entlasten und damit auch die Abbrecherquote senken.

Es bietet sich aktuell sicherlich an, nichtanzurechnende Stunden für die Auszubildenden komplett über das neue Kita-Qualitätsgesetz zu finanzieren. Das Land Berlin muss dann nur noch die Differenz zwischen anrechenbaren Stunden und vertraglichen Stunden übernehmen. Doch ähnlich wie bei den Sprach-Kitas sind auch die Zuschüsse aus diesem Bundesprogramm befristet, weswegen eine Anschlussfinanzierung aus Landesmitteln jetzt schon sichergestellt werden muss – damit der erzielte Effekt nicht schon im übernächsten Jahr wieder verpufft.

2. Geplanten Sanktionsmechanismus für Kita-Träger aussetzen

Durch eine höhere Anzahl an Plätzen in der berufsbegleitenden Ausbildung werden schneller mehr neue Kita-Fachkräfte im System ankommen. Ihre nachgelagerte Anerkennung als vollwertige Fachkraft im Personalschlüssel wird aber dafür sorgen, dass die Zahl der offenen Stellen in den Kitas erst einmal steigt obwohl die Teams genauso aufgestellt sind wie vorher. Der im aktuellen RV-Tag beschlossene Sanktionsmechanismus für anhaltenden Personalmangel in Kitas muss deshalb ausgesetzt werden, damit es nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des Betreuungsangebots in der Stadt kommt.

Im Sinne der Berliner Kinder, Eltern und Kita-Fachkräfte müssen Träger und Verwaltungen gemeinsam daran arbeiten, den chronischen Fachkräftemangel in der frühen Bildung endlich zu beseitigen. Es macht weder Sinn noch löst es das Problem, wenn man nur die Träger dafür verantwortlich macht – auch sie können keine Kita-Fachkräfte herzaubern wo noch keine sind. Im letzten Jahr kam ans Licht, dass aktuell jede zweite Kita in Deutschland wegen Personalmangels nicht alle Platzkapazitäten anbieten kann. Vor dem Hintergrund solcher Zahlen ist ein Sanktionsmechanismus wie ihn der aktuelle RV Tag vorsieht wenig zielführend.

3. Entscheidungsgrundlagen der Kita-Aufsicht harmonisieren

Ende letzten Jahres haben wir auch in Berlin gemerkt, dass es keine Corona-Pandemie braucht, um unser Kita-System ans Limit zu bringen. Da, wo teaminterne Krankheitswellen die Aufrechterhaltung des normalen Betreuungsbetriebs kurzfristig unmöglich machen, sind Träger angehalten, sich an die zuständige Kita-Aufsicht zu wenden. Ziel soll es sein, jeweils individuelle Lösungen im Sinne aller Beteiligten zu finden. Die Wahrnehmung des Beratungsauftrags und die Lösungsorientierung dieser Stellen erleben wir aber berlinweit aktuell als höchst unterschiedlich. Ob Eltern auch in Zeiten heftig grassierender Erkältungswellen eine Chance auf eine eingeschränkte Fortführung des Betreuungsbetriebs erhalten und wie diese aussehen kann, variiert aktuell nicht nur von Bezirk zu Bezirk, sondern hängt sogar davon ab, wer in der Behörde das Telefon abgenommen hat.

So sehr wir den Raum für einzelfallbezogene Lösungen gerade in diesem Bereich schätzen, so groß ist auch der Wunsch nach einer Einheitlichkeit und Nachvollziehbarkeit der jeweiligen Entscheidung. Wenn es für uns darum geht in solchen Situationen schnell Lösungsvorschläge zu sondieren, ist letzteres sogar unerlässlich. Wir brauchen eine bezirksübergreifend abgestimmte Entscheidungsgrundlage, die von allen Kita-Aufsichten genutzt wird. Hier sollte transparent festgelegt werden, welche Optionen Kitas und Träger in kurzzeitig schwierigen Personalausfallsituationen haben und was es unbedingt zu vermeiden gilt. Das würde auch die Einbindung der jeweils betroffenen Eltern erheblich erleichtern.

4. Karriere-Option für Quereinsteigende

Um Kinder auf ihren ersten Schritten ins Leben vielfältig zu inspirieren, sind verschiedene Perspektiven im Team oftmals ein Plus. Quereinsteigende bringen aus ihren vorherigen Berufen meistens zusätzliche Erfahrungswelten mit und können Kindern so etwas bieten, das einheitlich ausgebildete Teams nicht könnten. Tatsächlich beobachten wir, dass Quereinsteigende in vielen Fällen die motiviertesten Mitarbeitenden sind – sie wertschätzen die Chance, sich über ihre Nachschulung ein neues Berufsfeld erschließen zu können. Das Problem: Kommen sie aus den sogenannten „sonstigen Berufen“, unter die auch Tageseltern oder Hebammen fallen, gibt es für sie keinerlei Karriere-Option im neuen Tätigkeitsfeld. Auch nach erfolgreich absolvierter Nachschulung verbleiben sie auf dem Status „sonstige Quereinsteiger“. Für sie gibt es weder finanziell noch teamintern eine echte Entwicklungsmöglichkeit. Es braucht dringend mehr Varianz bei den Qualifizierungen und den Abschlüssen, die die Betreffenden erwerben können. Damit sie eine echte Perspektive haben und dem Kita-System erhalten bleiben. Und damit die Träger mehr motivierten Menschen den strukturierten und qualifizierten Quereinstieg in das Berufsfeld ermöglichen können.

Der Fachkräftemangel bleibt eine der dringendsten Herausforderungen in der Berliner und der bundesweiten Kita-Landschaft. Die vier oben beschriebenen Stellschrauben bieten einen ersten Ansatzpunkt, um die bestehenden Teams kurzfristig zu entlasten und erste Maßnahmen mit mittelfristigem Effekt auf den Weg zu bringen. Um das Problem zu lösen, brauchen wir aber sicherlich einen längeren Atem – umso dringender ist es, dass wir es zeitnah gemeinsam angehen.

Für das überverbandliche Trägerbündnis Kita-Stimme.berlin:

ASB Kinder- und Jugendhilfe Berlin gGmbH

Evangelischer Kirchenkreisverband für Kitas Berlin Mitte-Nord

FRÖBEL e.V.

Hanna gGmbH

hisa gGmbH

INA.KINDER.GARTEN gGmbH

Internationaler Bund (IB) – IB Berlin-Brandenburg gGmbH

Jugendwerk Aufbau Ost JAO gGmbH

Kleiner Fratz GmbH

Kleiner Fratz City Süd GmbH

Unionhilfswerk Sozialeinrichtungen gemeinnützige GmbH

One World Kinder gGmbH