So gelingt das Kita-Chancen-Jahr

Vier Ansätze für die zusätzliche Aufnahme von Kindern mit Sprachförderbedarf – und ihre Konsequenzen

Sprachförderung bevor die Bildungsschere in der Schule auseinanderklafft: Das geplante Kita-Chancenjahr will genau das möglich machen. Künftig soll jedes Berliner Kind, bei dem vor der Einschulung ein entsprechender Bedarf festgestellt wurde für mindestens zwölf Monate eine Kindertageseinrichtung besuchen. Denn bei Kindern, die zu diesem Zeitpunkt keines dieser Bildungs- und Betreuungsangebote wahrnehmen, wird in unserer Stadt besonders oft ein Sprachförderbedarf diagnostiziert.

Trotz entsprechender gesetzlicher Bestimmungen ist es bis heute unklar, ob diese Kinder ihre dringend benötigte Sprachförderung auch wirklich erhalten. Mit dem verpflichtenden Kita-Chancen-Jahr könnte sich das nun endlich ändern. Allerdings bedeutet diese Maßnahme auch einen immensen Kraftakt für die hiesige Kita-Landschaft – denn schon jetzt mangelt es in ganz Berlin an Betreuungsplätzen und an entsprechend ausgebildeten pädagogischen Fachkräften. Dabei müsste man sogar einen höheren Personalschlüssel ansetzen, um gute und wirksame Sprachförderung anbieten zu können. Denn in vielen Fällen ist hier auch die gelingende Zusammenarbeit mit den betroffenen Familien ein entscheidendes Erfolgskriterium. Damit das Kita-Chancen-Jahr ein Erfolg wird, brauchen die Einrichtungen also auch zusätzliche Mittel um zusätzliche Aufgaben zu bewältigen.

Weil die betroffenen Kinder dennoch dringend Unterstützung benötigen, hat Kita-Stimme.berlin vier Ansätze identifiziert, wie ihre Aufnahme in unsere Einrichtungen gelingen könnte. Jedes der nachfolgenden Modelle hat seine eigenen Vor- und Nachteile und keines davon soll als allumfassende Lösung verstanden werden. Als Impuls, Debattenbeitrag und Ideensteinbruch helfen uns die vier Ansätze aber möglicherweise dabei, gemeinsam ins Denken zu kommen – und herauszufinden wie wir mit frühkindlichen Bildungsangeboten ein Maximum für die Kinder in unserer Stadt bewirken können.

Ansatz 1: Kita-Gutscheine für Kinder mit Sprachförderbedarf aufwerten

Eine Studie des FiBS-RILLL Research Institute on Lifelong Learning im Auftrag von Kita-Stimme.berlin belegt: Der Mangel an Kita-Plätzen in der Hauptstadt geht aktuell zu Lasten von Familien mit Migrationshistorie – und führt dazu, dass gerade die Kinder aus dem Kita-System verdrängt werden, die von einem Kita-Besuch auch mit Blick auf die Sprachförderung besonders profitieren würden.

Viele Kitas vergeben ihre knappen Plätze aktuell mühelos an Eltern, die sich schon früh darum bemühen. Wer unsere Sprache nicht spricht und unser Kita-System nicht kennt hat oft das Nachsehen. Diesem Verdrängungseffekt könnte man entgegenwirken, wenn man Kita-Gutscheine für Kinder mit diagnostiziertem Sprachförderbedarf aufwerten würde. Für die Einrichtungen wäre ihre Aufnahme dann mit einem finanziellen Anreiz verbunden – und mit einer höheren Motivation, die betreffenden Familien durch den komplizierten Aufnahmeprozess zu begleiten. Die betroffenen Familien hätten dann bessere Chancen einen der der begehrten Plätze zu bekommen.

Die Konsequenz:
Die Regelung könnte auch dazu führen, dass sich der gegenwärtige Verdrängungseffekt umkehrt. Engagierte Eltern hätten es dann etwas schwerer, einen Platz zu finden. Andererseits finden sie sich in der Berliner Kita-Landschaft auch leichter zurecht und wissen eher, was sie mit Blick auf ihren Rechtanspruch auf einen Betreuungsplatz unternehmen müssen. Weil Verteilungskämpfe keinesfalls eine Dauerlösung sein können, muss der Kita-Ausbau und eine Fachkräfteoffensive in den kommenden Jahren mit größerem Engagement vorangetrieben werden.

Ansatz 2: Die Plus 1-Idee – Jede Kita nimmt ein Kind zusätzlich auf

Damit die Sprachbildung von Vorschul-Kindern mit Förderbedarf nicht von einigen wenigen Kitas gestemmt werden muss, könnte man überlegen, wie man alle Berliner Kitas gleichermaßen an dieser wichtigen Aufgabe beteiligt. Rund 2.800 Kitas und Tagespflegestellen gibt es gegenwärtig in der Hauptstadt. Wenn jede von ihnen einen Platz für Kinder mit Sprachförderbedarf vorhalten würde wäre die Herausforderung zumindest zahlenmäßig vom Tisch.

Die Konsequenz:
Mit dieser Lösung ist nicht gewährleistet, dass die benötigten Plätze auch da entstehen, wo sie benötigt werden. In Gebieten mit einer vergleichsweise hohen Dichte an Kindertageseinrichtungen stünden in manchen Gegenden vielleicht sogar mehr dieser Sprachförderplätze zur Verfügung als von den Familien in der Nachbarschaft benötigt würden. Das Nachsehen hätten betroffene Familien in Vierteln wo weniger Kitas und folglich auch weniger der Zusatz-Plätze zur Verfügung stünden.

Ansatz 3: Kopplung an die Sprach-Kitas

Die Idee liegt eigentlich auf der Hand: Durch das Bundesprogramm Sprach-Kitas sind im letzten Jahrzehnt auch in Berlin allseits anerkannte Strukturen für die frühe Sprachbildung entstanden. In den teilnehmenden Einrichtungen kümmern sich speziell ausgebildete Expertinnen und Experten darum, dass entsprechende Förderbedarfe bei den Kindern gar nicht erst entstehen. Das beste: Sie arbeiten als zusätzliche Kräfte neben den bestehenden Kita-Teams in den Einrichtungen – damit ihnen stets genügend Zeit für diese Aufgabe zur Verfügung steht.

Wenn es also um die Aufnahme von Vorschul-Kindern mit Sprachförderbedarf geht, bieten die Berliner Sprach-Kitas bereits viel Expertise und entsprechend ausgebildetes Personal. Gäbe es für die betreffenden Jungen und Mädchen einen besseren Ort, um unsere Sprache zu lernen? Wenn die rund 350 Berliner Sprach-Kitas das verpflichtende Kita-Chancen-Jahr für Kinder mit Förderbedarf aktuell alleine stemmen sollten, müsste jede von ihnen rein rechnerisch sechs bis sieben zusätzliche Kinder mit Sprachförderbedarf aufnehmen. Würde man den Anteil der Sprachbildungsfachkräfte erhöhen, könnte man auch hier das Prinzip des in heilpädagogischen Gruppen finanzierten Freihalteplatzes anwenden.

Die Konsequenz:
Für die betroffenen Familien wäre es wahrscheinlich sehr herausfordernd, einen wohnortnahen Sprachförderplatz zu finden, wenn man ein langfristiges Projekt wie das Kita-Chancen-Jahr dauerhaft auf 350 Berliner Einrichtungen begrenzen würde.

Hier wird deutlich, dass es für diesen Ansatz ein starkes Engagement des Landes Berlin für mehr Sprach-Kitas braucht, die dann auch nachhaltig finanziert werden müssen. Aktuell ist der Fortbestand des Programms über das Kita-Qualitätsgesetz geplant – er hängt damit erneut von Bundesmitteln ab und ist erneut befristet.

Ansatz 4: Moderate Überbelegung der Kita-Flächen zulassen

Eine flexible Lösung für die Aufnahme der zusätzlichen Vorschulkinder wäre es, wenn Kitas dies abhängig vom jeweils zur Verfügung stehenden Platz bewerkstelligen könnten: Überall dort, wo genügend Personal zur Verfügung steht und wo es die Räumlichkeiten zulassen, könnten zusätzliche Sprachförderplätze entstehen – in großen Einrichtungen mehr als in den kleineren. Diese Lösung hat Berlin schon einmal weitergebracht: Zu den Hochzeiten der Kita-Platz-Krise im vergangenen Jahrzehnt haben viele Einrichtungen zwischen zwei und vier Prozent mehr Kinder aufgenommen, wenn der Raum und das Personal dafür vorhanden waren.

Die Konsequenz:
Dieser Ansatz würde wahrscheinlich zum besten Ergebnis für die Kita-Teams und für die Familien auf der Suche nach einem nahegelegenen Sprachförderplatz führen. Die Krux: Kitas mit geeigneten Räumlichkeiten können die benötigten Plätze nur anbieten, wenn sie auch genügend Personal haben. Das Land Berlin könnte die Chance nutzen, um zusätzliche Sprachlernkräfte nach dem Vorbild des Bundessprachprogramms auszubilden – ein Investment, das sicherlich vielen Kindern in den kommenden Kita-Chancen-Jahren zu Gute käme.

Keiner der oben skizzierten Ideen bietet eine perfekte Lösung – jede einzelne zeigt aber, dass wir vielen Kindern, die bereits ein Jahr vor ihrer Einschulung vor dem bildungspolitischen Abstellgleis stehen helfen können – selbst dann, wenn es aktuell viele Herausforderungen gibt. In diesem Ziel sind wir uns einig und wir entwickeln gerne weitere Ideen, wie wir Kinder und Familien in unserer Stadt trotz herausfordernder Rahmenbedingungen bestmöglich unterstützen kommen.

Das Papier zum Download gibt es hier

Lassen Sie uns dazu in den Austausch kommen!

Berlin, 24. Mai 2023

Für das überverbandliche Trägerbündnis Kita-Stimme.berlin

_Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Berlin-Nordost e. V.

Gemeinnützige BOOT GmbH

Evangelischer Kirchenkreisverband für Kitas Berlin Mitte-Nord

FRÖBEL Bildung und Erziehung gGmbH

Hanna gGmbH

IB Berlin-Brandenburg gGmbH

INA.KINDER.GARTEN gGmbH

Jugendwerk Aufbau Ost JAO gGmbH

Klax Berlin gGmbH

Kinder im Kiez GmBH

Kleiner Fratz GmbH

Kleiner Fratz City Süd GmbH

One World Kinder gGmbH

Orte für Kinder GmbH

Unionhilfswerk Sozialeinrichtungen gemeinnützige GmbH

Wuhlewanderer gGmbH_