Kurz vor Weihnachten war überall zu lesen, was als großer Verhandlungs-erfolg bezüglich der Rahmen-vereinbarung zur Finanzierung und Leistungssicherstellung der Tageseinrichtungen für Kinder (RV-Tag) gewertet wurde: „500 Millionen Euro mehr Geld für Berliner Kitas in den nächsten vier Jahren.“ Klingt so schön. Irgendwie aber auch zu schön!
Mit diesem Verhandlungsergebnis, welches das Land Berlin, die Spitzenverbände der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege (LIGA) und der Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS) e.V. erarbeitet haben, lässt sich Vieles, was vor der Wahl in unseren Gesprächen mit Spitzenkandidat*innen zumindest als Verhandlungsoption in Aussicht gestellt wurde, nicht mehr realisieren. Man kann die Ergebnisse bestenfalls einen Kompromiss nennen.
Mehr Geld für Fachkräfte?
Die Tarifgemeinschaft der Länder hat für Dezember 2022 eine Lohnerhöhung von 2,8% vereinbart, ungeachtet der Inflationsrate. Freie Träger erhalten davon 95% – also maximal 2,66% mehr. In diesem Tarifabschluss ist auch eine Einmalzahlung in Höhe von 1.300 Euro enthalten, die an Mitarbeitende der Eigenbetriebe zeitnah als steuerfreie Prämie ausbezahlt werden soll. Der Senat zahlt diese Prämie in 14 Monatsraten an die Träger. Wir müssen das Geld also vorstrecken, denn würde es monatlich ausbezahlt, kämen Steuern und Sozialabgaben hinzu – von der Prämie bleibt dann nur die Hälfte bei den Beschäftigten. Also müssen wir vorfinanzieren, aber das kennen wir schon.
Sachmittel für den laufenden Betrieb?
Die Inflationsrate im November 2021 betrug 5,2%, der Jahresdurchschnitt lag bei 2,9%, Tendenz steigend. Dennoch sollen die Träger in diesem Jahr nur 1,9% mehr Geld für die Deckung ihrer Sachkosten erhalten. Das entspricht einem Drittel der aktuellen Inflationsrate. Eine vom Senat 2015 vorgestellte Studie (Gestehungskostenanalyse) hatte gezeigt, dass Kitas bis zu 37,5% weniger an Sachkosten erhalten, als tatsächlich anfallen. In den vergangenen 4 Jahren hat man dieses Defizit schrittweise um 10% abgebaut. In den kommenden 4 Jahren verlangsamt sich das Abbautempo, denn hierfür sind nunmehr 6,6% vorgesehen. Das reicht beispielsweise nicht zur Kompensation von Mietkosten, die in den letzten 10 Jahren durchaus um 100 und mehr Prozent gestiegen sind. Kann man da noch von einer Steigerung der Sachkostenpauschale sprechen?
Ungleiche Finanzierung von Beschäftigten bei Kita-Trägern
Es bleibt dabei, die Hauptstadtzulage wird nur an Beschäftigte der Eigenbetriebe gezahlt. Eine Maßnahme, um Beschäftigte des Senats und der Bundesregierung halbwegs vergleichbar bezahlen zu können. Der Senat steigert also die Attraktivität für Mitarbeitende gegenüber der Bundesregierung, aber viel mehr noch gegenüber den freien Trägern. Der Personalmangel wird quasi bei den freien Trägern festgeschrieben. Wer dann noch fordert, wie zuletzt in der Presse öfter gestreut, auch die freien Träger sollten Tariflöhne zahlen, verkennt völlig die Realitäten. Sehr bedenklich, dass diese Ungerechtigkeit in der Verhandlungsrunde wortlos durchgewinkt wurde.
Sanktionierung von personeller Unterbesetzung
Die Verhandlungspartner haben sich darauf geeinigt, dass bei einer Unterschreitung der Personalausstattung einer Einrichtung (Schwellwert 95%) Personalmittel als Sanktion abgezogen werden. Allerdings hat der Träger die Möglichkeit, die Betreuungsverträge befristet anzupassen. Beispiel: Personal fällt aufgrund persönlicher Umstände längerfristig aus. Dem Träger gelingt es nicht, kurzfristig neues Personal zu gewinnen. Um die Sanktion möglichst gering zu halten, kürzt er die Betreuungszeiten der im Haus betreuten Kinder. Damit ist dem Schlüssel genüge getan. Und wem nutzt diese Verfahrensweise? Die Sanktionierung wird an die Eltern weitergereicht. Erfolgt dies im regelmäßigen Wechsel, noch weniger Personal, noch kürzere Betreuungszeiten, landet die Einrichtung, theoretisch irgendwann bei Null. Welches Problem soll eigentlich mit diesen Sanktionen beseitigt werden? Es gibt nicht genug Erzieher*innen und die Einschätzung des Senats, bis 2024 sei der Mangel behoben, teilen Kita-Träger nicht. Brennpunkt- und Hauptstadtzulage, alle diese Maßnahmen waren ähnlich unfertige Regelungen. Wir sollten gemeinsam nochmal darüber nachdenken und die
Maßnahmen präzisieren.
Eigenanteil 5%
Freie Träger arbeiten im Auftrag des Senats, wie es IT- oder Baufirmen auch tun, wenn sie öffentliche Aufträge realisieren. Allerdings wird von keinem Unternehmen erwartet, dass es als Bestandteil seiner Leistung einen Eigenanteil an den Kosten einbringt – außer von freien Kita- Trägern: Sie müssen für 5% der anfallenden Kosten selbst aufkommen. Eine Abschaffung dieser unbegründeten Regelung ist nicht geplant. Wir haben uns gefragt, warum sie in Kraft gesetzt wurde. Wir vermuten, es ist eine Art Ablasszahlung für Selbstständigkeit. Für den Betrieb einer Kita ergibt sich also folgende Rechnung für Personalmittel und Sachkosten: jeweils minus 5 Prozent Eigenanteil. Hinzu kommt, dass die Sachkosten ohnehin deutlich zu niedrig kalkuliert sind, wie oben gezeigt. Es ergibt sich ein tatsächlicher Eigenanteil, der mehr als doppelt so hoch ist wie offiziell dargestellt. Natürlich müssen wir unabhängig bleiben, weil wir die Mittel gezielter investieren und damit mehr erreichen können – und selbst wenn die offiziell fehlenden 5% gezahlt würden, verblieben zu niedrig kalkulierten Sachkosten. Wozu das führt, kann man bei den Eigenbetrieben nachfragen. Ein passendes Finanzmodell können und müssen wir
gemeinsam entwickeln!
Fazit
Das Ergebnis dieser RV-Tag-Verhandlungen treibt die Stimmung unter den freien Trägern und den Eigenbetrieben nicht wirklich nach oben. Das Angebot steht, wir bringen gern unsere Praxiserfahrungen ein – die Kita-Stimme.berlin ist das überverbandliche Aktionsbündnis und die Plattform für frühkindliche Bildung in Berlin. In den aktuellen Diskussionen ist immer öfter die Rede davon die Eigenbetriebe stärker entwickeln zu wollen, Stichwort Rekommunalisierung. Trotz manch ungleicher Behandlung lassen wir uns nicht gegen unsere Kolleginnen und Kollegen der städtischen Kita-Träger aufbringen, sondern unterstützen uns als Praxispartner. Jedoch: die freien Träger stellen rund 75% der Kita-Plätze in Berlin, sind gut aufgestellt und bilden die gewünschte „bunte Trägerlandschaft“ in der Stadt, weil wir flexiblere Entscheidungsstrukturen haben als die Eigenbetriebe. Unser gemeinsames Interesse ist doch, die Errungenschaften der frühkindlichen Bildung in Berlin konsequent fortzuentwickeln. Die Themen sind alle noch aktuell: Kita-Bau und -Sanierung, vergleichbare Bezahlung der Beschäftigten, Qualitätsentwicklung, Demokratiebildung, Digitalisierung und vieles mehr.
Wir müssen über den Status hinauskommen, „500 Millionen mehr für Kitas“ laut in der Presse zu verkünden, wo wir doch alle wissen, allein für Kita-Bau bräuchten wir mindestens 800 Millionen Euro bis 2025. Die Verwaltung möchte auf keinen Fall vom grünen Tisch aus agieren, wir unterstützen das gerne!