Presserückblick KW 29

Die Politik gleitet in die Sommerpause – Anlass für viele, Zwischenbilanz zu ziehen. Leider stellt sich heraus, dass große Projekte der Familienpolitik als Adler aufgestiegen waren und nun Gefahr laufen, gerupft und zerkleinert zu werden und als Hühnerbrühwürfel zu enden – wie beispielsweise die Kindergrundsicherung von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne).

Deren Großprojekt wurde vor der Sommerpause nicht mehr verabschiedet und droht in der Ampel zur Unkenntlichkeit geschrumpft zu werden. „Ins Abseits gekämpft“ schlagzeilt dazu beispielsweise die „Süddeutsche Zeitung“. „Modern war gestern“ zieht der „Spiegel“ Bilanz über die familienpolitischen Fortschritte der „Fortschrittskoalition“.

Dabei hat sich in Deutschland längst ein modernes Familienverständnis in Deutschland entwickelt. Es ist partnerschaftlicher, mit Frauen, die selbstverständlich ihren Platz in der Arbeitswelt einnehmen wollen. Doch Paare finden sich häufiger in traditionellen Rollen wieder als ihnen lieb ist. Es fehlt an Betreuungsplätzen, und politische Anreize wie das Ehegattensplitting fördern nach wie vor ein Familienmodell, das heute nur noch eines unter vielen ist. Und warum wird das Betreuungsgeld nicht gerechter aufgeteilt – sieben Monate an Mütter, sieben Monate an Väter?
(Spiegel)

In Schweden haben derlei politische Weichenstellungen (bereits 1974 getroffen) dazu geführt, dass sich Mütter und Väter die Elternzeit gleichberechtigt aufteilen.

Zitat der Woche

Es ist eine Generation herangewachsen, die ihren Lebensalltag partnerschaftlicher gestalten möchte (…). Um diesen Ansatz mit Leben zu erfüllen braucht es deutlich mehr Betreuungsplätze für Kita-Kinder, und auch mehr Ganztagsbetreuung in Schulen“.
Martin Bujard, Sozialwissenschaftler und Verantwortlicher der Langzeitstudie FReDA – die Wünsche und Werte rund um den Alltag in Familie und Partnerschaft wissenschaftlich untersucht/ Der Spiegel)

Trotz des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz – und trotz des stetigen Ausbaus – fehlt es jedoch weiterhin an Betreuungsplätzen – vor allem für unter Dreijährige. Die Bilanz von 10 Jahren Rechtsanspruch: „Die Hälfte der Eltern wünscht sich einen Betreuungsplatz, gerade mal ein Drittel bekommt ihn“, sagt Heidi Reichinnek, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linkspartei.
news4teachers.de

Was für Paare schon schwierig ist, trifft Alleinerziehende – und natürlich deren Kinder – besonders hart. Das zeigt diese erschreckende Zahl:

Zahl der Woche

43 Prozent aller Alleinerziehenden ist armutsgefährdet*
*Haushaltseinkommen von weniger als 60 Prozent des Bundesdurchschnitts
Quelle: Destatis/Spiegel

Sozialpädagogin Petra Schäfer arbeitet seit 20 Jahren in armutsgefährdeten Familien. Sie würde die Kindergrundsicherung begrüßen, vor allem aber einen vereinfachten, weniger zersplitterten, Zugang zu den möglichen Leistungen. Viele Familien wüssten gar nicht welche Leistungen ihnen zustehen. Bestehende Chancen würden nicht genutzt.
tagesschau.de

Den täglichen Kampf einer alleinerziehenden Mutter gegen die Bürokratie schildert die „Zeit“. Es sei oft gar nicht bekannt, was den Familien genau zusteht und welche Hilfen der Staat für Kinder auflegt. Wenn es die geplante Kindergrundsicherung tatsächlich schafft, dass ein Betrag für jedes Kind automatisch ausgezahlt wird, wäre das eine große Entlastung für alle, die von Armut bedroht sind.
(Die Zeit)

Weil mangelnde Kinderbetreuungsangebote das Armutsrisiko zusätzlich erhöhen, fordert Linken-Chefin Janine Wissler in den „Stuttgarter Nachrichten“ eine „Einstellungsoffensive“. Sie fordert, in den „kommenden Jahren 200 000 Erzieherinnen und Erzieher mehr einzustellen“.

Interessant in diesem Zusammenhang ist: Zwischen 2006 und 2022 hat sich die Zahl der Beschäftigten in Kitas mehr als verdoppelt – von 403 300 Mitarbeitenden auf 841 838 im Frühjahr 2022. Ein wesentlicher Impuls dabei war die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz.

Doch woher kommt dann der akute Personalmangel? Eine Erklärung: Auch die Ansprüche an die Qualität der Betreuung sind gestiegen und damit die Zeit, die Erziehende für Dokumentationen aufwenden müssen, ebenso wie der allgemeine Betreuungs-Bedarf.

Derzeit litten die pädagogischen Beschäftigten massiv darunter, ihre Arbeit vielerorts unter widrigen Bedingungen ausüben zu müssen, etwa wenn sie aufgrund von Personalmangel den einzelnen Kindern nicht ausreichend gerecht werden oder ihren Bildungsauftrag nicht erfüllen könnten. Das habe mitunter gar langfristige körperliche und psychische Erkrankungen zur Folge, schreiben Franziska Meyer-Lantzberg, Stefan Kerber-Clasen und Yalçın Kutlu in einer ausführlichen Lage-Analyse in den Blättern für deutsche und internationale Politik.
All das verdichte sich zu einem Ergebnis: Viele Fachkräfte verlassen die Branche zugunsten besser bezahlter und vor allem weniger belastender Berufe. Da es aber aufgrund des massiven Ausbaus und der zumindest programmatisch angestrebten Qualitätsverbesserungen einen exorbitanten Mehrbedarf an Personal gibt, führt dies zum heutigen katastrophalen Fachkräftemangel.
(Blätter für deutsche und internationale Politik)

So viel zur Lage der Nation.

Wir wünschen Ihnen dennoch angenehme Sommertage.
Bleiben Sie heiter, und machen Sie weiter!

Ihre Kita-Stimme.berlin