Drei Schritte für frühe Bildungsgerechtigkeit in der Hauptstadt

Konsequenzen aus dem Ukraine-Krieg und der Studie „Entwicklung frühkindlicher Bildungsbedarf in Berlin“

Die FiBS-RILLL Research Institute on Lifelong Learning gGmbH hat in Kooperation mit dem Trägerbündnis Kita-Stimme.berlin den Kita-Platzmangel in der Hauptstadt untersucht. Ein Ergebnis: Trotz vergleichbarem Bedarf bekommen Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund seltener einen Kita-Platz als Kinder aus Familien ohne Zuwanderungshistorie – und das obwohl gerade eine Vielzahl geflüchteter Familien aus der Ukraine in der Hauptstadt ankommen, weil sie vor dem Krieg in ihrer Heimat fliehen.

Eine mögliche Ursache für die Ergebnisse der Studie: Eltern mit Zuwanderungsgeschichte sind oftmals weniger gut mit dem Kita-System und der Anmeldungsprozedur in Berlin vertraut. Fehlende Sprachkenntnisse und damit verbundene Unsicherheiten verschärfen dieses Problem weiter. Wenn es an Kita-Plätzen mangelt, liegt es aber auf der Hand, dass eher diejenigen erfolgreich sind, die ihrem Bedarf mit Nachdruck Gehör verschaffen können. Zudem ist der Kita-Platzausbau stark auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgerichtet. Welche Chancen haben also Familien, die nicht in dieses Raster passen und zudem wenig darüber wissen, welche Bemühungen es aktuell braucht um tatsächlich einen Kita-Platz für sein Kind erhalten? Um dem identifizierten Problem entgegenzutreten sind aus unserer Sicht unverzüglich drei Schritte notwendig:

Schritt 1: Kita-Ausbau sicherstellen

Es gibt keine gerechte Möglichkeit, um zu entscheiden welche Familien keinen Kita-Platz bekommen sollen – zumal jedes Kind in Berlin einen Rechtsanspruch darauf hat. Wenn es aber zu wenig Plätze gibt, zwingt man Kita-Leitungen genau dazu. Sie müssen im Zweifel abwägen, ob der Platz an ein Geschwisterkind gehen soll, an eine Familie, die schon lange auf der Warteliste steht oder jetzt aktuell an die geflüchtete ukrainische Mutter, die sich hier allein ein neues Leben aufbauen muss. Zudem verhindert man, dass Kita-Träger die Familien finden können, die nicht zu ihnen finden – obwohl sie einen Bedarf für Kindertagesbetreuung haben. Zunächst muss deshalb der Kita-Platzausbau im Fokus stehen. Der Senat muss hier dringend größeres Engagement zeigen, damit nicht noch mehr Kinder in der Stadt zurückbleiben. Um alle von ihm selbst ermittelten 26.000 fehlenden Plätze bis Mitte des Jahrzehnts zu realisieren muss er insgesamt rund 800 Millionen Euro investieren – nur etwas mehr, als er aktuell jedes Jahr für den Schulbau ausgibt aber weit mehr als die rund 55 Millionen Euro, die bis Ende 2023 eingeplant sind.

Auch wenn im dicht besiedelten Stadtraum nur wenig Fläche für Kita-Neubauten zur Verfügung steht, werden gerade hier Platzkapazitäten gebraucht. Die zentrale Jugendhilfeplanung muss Kitas künftig bevorzugt in Einzugsgebieten planen, in denen weniger privilegierte Eltern leben. Betreuungseinrichtungen in Wohngebäuden könnten auch dazu beitragen, dass Familien, die mit dem Kita-System wenig vertraut sind ihren Bedarf äußern können.

Kitas entstehen nicht von heute auf morgen – die Schaffung der benötigten Plätze wird auch bei ausreichender Finanzierung Zeit brauchen. Damit nicht eine weitere Generation von Kindern zurückbleibt, ist eine Zwischenlösung zwingend erforderlich.

Schritt 2: Pop-Up-Kitas als Brückenangebot

Die Pandemie hat die meisten Unternehmen mit der Arbeit im Homeoffice vertraut gemacht. Viele Beschäftigte werden nicht zwangsläufig im bisherigen Umfang an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Freigewordene Flächen in Bürogebäuden und Ladenlokalen können für temporäre Betreuungsangebote genutzt werden – solange bis genug reguläre Kita-Plätze für alle Berliner Kinder zur Verfügung stehen.

Solche Pop-Up-Angebote könnten schnell entstehen, wenn nur die notwendigsten Auflagen für Kita-Neubauten an sie gerichtet werden: Büros und Geschäfte unterliegen zum Beispiel bereits sinnvollen Brandschutzauflagen. Eine der wichtigsten Voraussetzung wäre also bereits erfüllt.

Wir verstehen die Pop-Up-Kitas als temporäres Bildungsangebot, dem die Inhalte des Berliner Bildungsprogramms zu Grunde liegen. Der Zugang soll niedrigschwellig für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr mit einem Kita-Gutschein möglich sein. Klar muss aber auch sein: Sie können kein vollwertiger Ersatz für einen Kita-Besuch sein und die Öffnungs- und Betreuungszeiten werden sich deutlich von denen herkömmlicher Kindertagesstätten unterscheiden. Als Bildungsräume sind sie eine Zwischenlösung für Kinder, für die es aktuell noch keinen festen Kita-Platz gibt. Auch Kinder mit Sprachförderbedarf könnten hier einen sicheren Hafen finden.

Der Übergang in eine reguläre Kindertagesstätte muss für die Kinder in der Pop-Up-Kita innerhalb von zwölf bis 14 Monaten gewährleistet sein. Das gelingt, indem ein solches temporäres Angebot jeweils von mehreren Trägern betrieben wird, die die Kinder überjährig in ihre nahegelegenen regulären Kindertageseinrichtungen aufnehmen. Sie könnten auch die Spielplätze und Außengelände ihrer Einrichtungen stundenweise für die Pop-Up-Kita öffnen. Auf diese Weise wären die Pop-Up-Kitas eine Brücke für die Eingewöhnung in eine Kindertagesstätte. Das Kooperationsprinzip ermöglicht es, dass sich erfahrene Kita-Fachkräfte von unterschiedlichen Trägern in diesen Brückenangeboten begegnen und einbringen können. So können hier auch Eltern zum Kita-Besuch beraten werden. Auf zehn Kinder in der Pop-Up-Kita muss mindestens eine erfahrene Fachkraft kommen, die von Quereinsteigenden, Pflichtpraktikanten oder ukrainischen und weiteren Muttersprachlern unterstützt werden können.

Schritt 3: Gemeinsam Strukturen für aufsuchende Kita-Sozialarbeit schaffen

Die Pop-Up-Kitas bieten die Chance, auch auf die Familien zuzugehen, die in ihren Bemühungen um einen Kita-Platz gestoppt wurden: Aufsuchende Arbeit auf Spielplätzen, Kooperationen mit Vereinen oder Projekten für Migrantinnen und Migranten werden so endlich möglich – in der aktuellen Situation laufen solche Bemühungen wegen des Platzmangels leider ins Leere. Für diese Aufgabe könnten Studierende der Hoch- und Fachschulen einbezogen werden. So entstehen Strukturen von Kita-Sozialarbeit, die auch in den regulären Kindertagesstätten eine Entsprechung finden können.

Statt Mittel in die wenig zielführende „Brennpunktzulage“ zu investieren, sollten Projekte und Personal finanziert werden, die Brücken in das System der Kindertagesbetreuung bauen – da wo es notwendig ist, könnten Familien bei der Suche nach einem Betreuungsplatz auch unterstützt werden. So wird sichergestellt, dass keine Familie mehr durchs Raster fällt.

Drei Stellschrauben müssen wir justieren, damit in Berlin bald kein Kind mehr zurück gelassen werden muss: Der Kita-Ausbau muss weiter vorangetrieben werden, für Familien ohne Platz braucht es eine Zwischenlösung und die Kitas müssen die Familien finden, die nicht in die Kitas gefunden haben. Verglichen mit anderen Lebensbereichen ist das ein moderater Aufwand! Ein Grund mehr zusammenzustehen und dafür zu sorgen, dass bald jedes Kind in Berlin die Chance bekommt, seine Talente von Anfang an bestmöglich zu entfalten.

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